Der Zahnwechsel: bei Problemen zeitig intervenieren
EinleitungDer Zahnwechsel findet beim Hund im Vergleich zum Menschen in einem geradezu rasanten Tempo statt. Gerade einmal 3 Monate braucht ein Hund, um sein Gebiss komplett durchzuwechseln. Probleme im Milchgebiss oder während des Zahnwechsels erfordern besondere Aufmerksamkeit, da schnell Fehlstellungen im bleibenden Gebiss oder sogar Wachstumsstörungen des Unterkiefers resultieren können. Das Zeitfenster für kieferorthopädische Behandlungen vor oder während des Zahnwechsels ist bei kleinen Terrierrassen etwas größer als bei den größeren Terriern, beträgt aber meist nicht mehr als 4-6 Monate.
Häufige ProblemePersistierende MilchcaniniEines der am häufigsten auftretenden Probleme sind persistierende Milchcanini. Es können sowohl die Canini im Oberkiefer als auch die unteren Eckzähne betroffen sein. Grundsätzlich gilt: sind Milchzahn und bleibender Zahn gleichzeitig zu sehen, sollte rasch gehandelt werden. Der persistierende Milchcaninus verhindert zunächst und in allen Fällen, dass der durchbrechende bleibende Caninus seine korrekte Position einnimmt. Im Unterkiefer werden die bleibenden Canini nach lingual, d.h. nach innen gedrängt, im Oberkiefer werden sie nach vorn verlagert. In beiden Fällen sind die Bissverhältnisse gestört. Grundsätzlich sollte, sofern die Milchcanini nicht bereits stark gelockert sind, nicht abgewartet werden. Bei stark gelockerten Milchzähnen sollte allerdings kein eigener Versuch unternommen werden, die Zähne „herauszuwackeln“, da der Milchcaninus aufgrund seiner langen Milchzahnwurzel, die meist noch gut erhalten ist, leicht abbrechen kann. Eine rasche Hilfestellung für das Gebiss bringt stattdessen die umgehende, schonende Extraktion der persistierenden Milchzähne. Meist richtet sich der fehlgestellte bleibende Caninus dann innerhalb von 2 bis 3 Wochen von selbst ein, d.h. er wandert in die Normalposition, so dass wieder normale Bissverhältnisse entstehen (Abb. 1a ,1b und 1c, siehe unten). Die Folgen eines zu langen Abwartens können teils dramatisch sein: ist das Wurzelwachstum des bleibenden Zahns erst einmal abgeschlossen, dann sitzt ein solcher Zahn im Kiefer fest, d.h. er wird auch nach zu spät doch noch vorgenommener Extraktion des Milchzahns nicht mehr korrekt herunterwachsen und bleibt dann permanent zu kurz. Das Resultat ist ein sichtbarer Zahnfehler. Versuche, solche Zähne durch kieferorthopädische Maßnahmen vorzuziehen, haben ebenfalls nicht selten drastische und unerwünschte Folgen (etwa den kompletten Ausfall des Zahns) und sind daher nicht zu empfehlen. Besonders kritisch ist häufig auch die Extraktion der unteren Milchcanini. Nicht selten kommt es infolge Kontakt des bereits angelegten oder schon vorschiebenden, bleibenden Eckzahns mit den für die Extraktion eingesetzten tierzahnärztlichen Instrumenten zu einer punktförmigen Beschädigung des Zahnschmelzes an der Seitenfläche des bleibenden unteren Caninus. Die Extraktion erfordert daher eine besondere Technik und ein behutsames Vorgehen. Wie bei allen anderen Zähnen auch muss für die Extraktion eines Milchzahns der Zahnhalteapparat mit speziellen Instrumenten gelockert und die den Zahn im Kiefer fixierenden Fasern (Periodont) gelöst werden. Dieses kann bei korrektem atraumatischen Vorgehen nicht nur Zeit erfordern, sondern ist auch schmerzhaft. Beide Aspekte sollten für die Narkose unbedingt berücksichtigt werden. Junge Hunde, deren Vertrauen in den Menschen sich im frühen Alter erst festigt, sollten keinesfalls traumatisiert werden. Eine schonende Extraktion und eine optimale Narkose sowie eine ausreichende Schmerztherapie auch nach dem Eingriff stellen sicher, dass der junge Hund kein Trauma erlebt, das sein Vertrauen in den Menschen in Frage stellt.
Caninussteilstand im MilchgebissEin weiteres mögliches Problem ist der Caninussteilstand im Milchgebiss. Bei dieser Problematik beissen die unteren Milchcanini in die Schleimhaut des Gaumens seitlich neben den Oberkiefermilchcanini ein. Je nach Ausmass der Fehlstellung kann es infolge des Einbisses zu einer Arretierung des Unterkiefers mit einer Wachstumsbeeinträchtigung kommen, dem sog. Interlock-Phänomen. Im Extremfall resultiert ein zu kurzer Unterkiefer. Bei Welpen mit dieser Fehlstellung sollte daher das Unterkieferwachstum sehr aufmerksam beobachtet werden. Bei deutlichem Einbiss oder Steilstellung der Milchcanini im Unterkiefer sollte jedoch möglichst bald eine interzeptionelle kieferorthopädische Maßnahme durchgeführt werden. Möglich ist die Kappung der Milchcanini mit nachfolgend zwingend erforderlicher Füllung des Zahns oder aber die Extraktion. Das Abknipsen der Zahnspitzen ist – auch wenn es dabei nicht aus dem Zahn blutet – ein Kunstfehler. Mögliche Folgen sind eine Infektion des Zahns und eine damit einhergehende mögliche Schädigung des bleibenden Unterkiefereckzahns (Abb. 2, siehe unten). Milchzähne sind so wie bleibende Zähne über ihre Pulpa mit einem Nerven versorgt, so dass bei nervnaher Kappung oder gar Freilegung des im Zahninneren verlaufenden Nerven heftige Zahnschmerzen resultieren. Das Kappen von Milchcanini ohne anschließende tierzahnärztliche Versorgung ist somit nicht nur ein Kunstfehler, sondern auch tierschutzrechtlich relevant.
FazitDa das Zeitfenster für mögliche Korrekturen im Milchgebiss oder während des Zahnwechsels recht klein ist, sollten Milchgebiss, Wachstum des Unterkiefers und der Zahnwechsel zwischen dem 2. und 6. Lebensmonat in kurzen Abständen fachkundig überwacht werden. Bei rechtzeitiger Intervention lassen sich durch persistierende Milchcanini entstehende Unregelmäßigkeiten meist rasch korrigieren. Treten in mehreren Generationen persistierende Milchcanini auf, sollte jedoch auch an eine erbliche Komponente gedacht werden. Bei Steilstellung der unteren Milchcanini sollte unmittelbar nach dem Zahnwechsel unbedingt darauf geachtet werden, ob die bleibenden Unterkiefereckzähne ihre normale Position einnehmen. Bei geringgradiger Steilstellung kann ein häufig zum Tragen angebotener kleiner Gummiball passender Größe die Funktion einer Zahnspange übernehmen, und die Unterkiefercanini sanft nach aussen drücken.
ABBILDUNG 1A: Vier Monate alter Hund, persistierender Milchcaninus im Oberkiefer. Der bleibende Zahn ist nach vorn verdrängt.
ABBILDUNG 1B: Zustand nach Milchzahnextraktion. Minimales Trauma, der verlagerte Eckzahn steht in fehlerhaftem Kontakt.
ABBILDUNG 1C: Derselbe Patient wie in Abbildung 1a und 1b, Zustand zwei Wochen nach Milchzahnextraktion. Normale Verzahnung.
ABBILDUNG 2: Eitrige Infektion des oberen Milcheckzahns mit deutlicher Verfärbung nach Kappung der Milchcanini im Ober- und Unterkiefer ohne nachfolgende zahntierärztliche Versorgung.
Anschrift der Autorin:
Dr. Birgit Leopold-Temmler
Fachtierärztin für Kleintiere
ZB Zahnheilkunde, SP Innere Medizin
Gneisenaustraße 10
30175 Hannover
Email: info@tierpraxis.de